Wie wird die Coronakrise psychisch verarbeitet – idealtypisch

Die psychische Verarbeitung der Coronakrise folgt – ähnlich der Verarbeitung von anderen belastenden Ereignissen – einem bestimmten Verlauf, der nachfolgend idealtypisch dargestellt wird.

1. Phase: „Inkubation“ – zwischen Erregung und Bagatellisierung

Es gibt erste Meldungen über das neue Coronavirus Sars-Cov-2, die bald zu Nachrichten über eine Epidemie durch Covid19 werden. Aber das Thema wird zu diesem Zeitpunkt noch als weit entfernt wahrgenommen. Entsprechend schwanken die Reaktionen darauf zwischen Erregung („das wird zu leicht, zu wenig ernst genommen“) und Bagatellisierung („alles übertrieben, alles Hysterie“). Es gibt ein neues Virus, das sich ausbreitet. Gleichzeitig ist das Virus nicht zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, irgendwie unfassbar und weit weg. Ein schwelender Zustand, der thematisch langsam immer mehr Raum einnimmt.

2. Phase: Einwirkungsphase – Verleugnung und aufbrechende Gefühle

Meldungen über Covid19-Fälle kommen näher und erreichen das lokale Umfeld. Jetzt wird zunehmend realisiert, was passiert ist: Eine Pandemie, die auch
mich treffen kann. Folgende Reaktionen sind zu beobachten:

  1. „Nicht-wahr-haben-wollen“ und zum Teil komplette Verleugnung des neuen Zustandes. Es wird abgelehnt, dass es eine Veränderung der bisherigen Normalität gibt, dass das Leben gerade nicht mehr so ist, wie es vorher war
  2. Kampf-Flucht-Reflexe, die sich in Panik und massivem Ausagieren in Form von Zwängen, Hamstereinkäufen, Vermeidungsverhalten und Kurzschlussreaktionen ausdrücken. Das Ausagieren gibt ein Gefühl von Kontrolle, und doch etwas gegen diese ansonsten nicht greifbare Bedrohung tun zu können.
  3. Aufbrechende Gefühle von Hoffnungslosigkeit, Machtlosigkeit, Unsicherheit, Niedergeschlagenheit oder Ähnliches. Eine Art „sich ergeben“ oder auch Gefühle von Ärger und Wut, verbunden mit Schuldvorwürfen. Hier können sehr absonderliche Kausalzusammenhänge konstruiert werden.
  4. Panik nicht an sich ranlassen und duldsam aussitzen. Mit dieser Haltung kann erfolgreich ein emotionales „Überwältigt-werden“ abgewehrt werden

Mit weiterer zunehmender Realisierung wird die tatsächliche Lage als nicht vermeidbarer Ausnahmezustand bewusster und zunehmend akzeptiert. Anerkennung und Akzeptanz ist ein notwendiger Schritt erfolgreicher Verarbeitung.

3. Phase: Neuorientierung – Suche nach Lösungsmöglichkeiten und Arrangement

Mit der offiziellen Kontakteinschränkung beziehungsweise den offiziellen Ausgangssperren wird die notwendige Akzeptanz und Anerkennung der Situation gefördert. Die „emotionalen Wellen“ beruhigen sich. Individuelle rationale Analysen werden durchgeführt, was tatsächlich jetzt und in dieser Situation getan werden kann und was eben nicht.

  • Suche nach relevanten Informationen
  • Hygienemaßnahmen
  • Vorsorgemaßnahmen für sich und das Umfeld
  • Durchspielen verschiedener Möglichkeiten
  • Aufstellen konkreter und zeitlich überschaubaren Ziele

Aber auch:

  • Das Einholen von Rückversicherung und emotionaler Unterstützung
  • Finden eines neuen Bedeutungs- und Sinnzusammenhangs

Vorhandene Ressourcen, Fähigkeiten und Fertigkeiten kommen damit wieder in den Fokus und
werden aktiviert. Kreative Ideen entstehen, um sich in der gegebenen Situation zu arrangieren.

Anmerkung: Kontakteinschränkungen und Ausgangssperren können psychische Belastungen verursachen wie Gefühle der Isolation und Einsamkeit, Existenzängste, Beziehungsschwierigkeiten durch die plötzliche intensive räumliche Nähe mit anderen im selben Haushalt lebenden Personen, Arbeitsstress durch ungewohntes Homeoffice und/oder Doppelbelastung durch Arbeit und Kinderbetreuung etc. Entsprechend steigt das Bedürfnis nach Planungssicherheit: „Wann werden die Einschränkungen zu Ende sein, die Kinder wieder zur Schule gehen können, die Betriebe wieder normal arbeiten – wie lange soll dieser Zustand noch dauern, wie geht es weiter…“

4. Phase: Normalisierung und Erholung – Neues Gleichgewicht

Wenn die Pandemie eingedämmt werden kann, wird sich die Situation aller Wahrscheinlichkeit nach „normalisieren“. Erleichterung und Erholung werden vermutlich spürbar sein. Ein neues Gleichgewicht kann entstehen. Covid-19 wird vermutlich zum Leben gehören, ein Umgang damit kann gefunden werden (Impfung, jährliche, schwächer ausfallende Infektionswellen etc.). Aber an diesem Punkt sind wir aktuell noch nicht. Zum Teil noch nicht einmal in Phase 3. Deshalb kann hier nur ein idealtypischer Verlauf beschrieben werden, den hoffentlich möglichst viele so erleben werden.

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