Vertrauen – ein psychologischer Blick

Vertrauen ist ein schwieriges Konstrukt: So selbstverständlich uns der Begriff „Vertrauen“ ist, so uneindeutig ist er als wissenschaftliches Konstrukt zu fassen. Was klar ist: Vertrauen ist essentiell für jede menschliche Beziehung und fördert und stärkt das seelische Wohlbefinden und die Gesundheit.

Der Gegenspieler Misstrauen führt dazu, dass wir in ständiger Angst leben, betrogen, ausgenutzt und hintergangen zu werden. Als soziale Wesen erzeugt das bei uns Menschen gravierende Schmerzen, die möglichst vermieden werden müssen. Das geht am besten darüber, dass alles genau kontrolliert und hinterfragt wird. Das kostet nicht nur viel Energie und Kraft, sondern hemmt auch die freie Entfaltung und erschwert so Wachstum und Entwicklung. Und letztendlich sind so befriedigende Beziehungen nicht möglich, weder privat noch beruflich.

Vertrauen ist sowohl ein Gefühl als auch eine Überzeugung von der Redlichkeit einer anderen Person bzw. eines Systems. Derjenige, der vertraut, macht eine positive Zukunftserwartung, ohne genau zu wissen, ob diese Zukunft tatsächlich eintreten wird. Vertrauen hat also mit Ungewissheit und einem Risiko der Enttäuschung zu tun. Vertrauen ist sozusagen ein „Zwischending“ zwischen Wissen und Nicht-Wissen, zwischen Sicherheit und Unsicherheit. Wenn ich alles unter Kontrolle habe, brauche ich nicht mehr zu vertrauen, dann brauche ich nur noch zu kontrollieren. Wenn ich aber Vertrauen schenke, dann mache ich mich auch verletzlich, es bleibt ein Risiko, dass ich enttäuscht werde und persönliche negative Konsequenzen tragen muss. Erlebe ich dann Vertrauen – dass mir vertraut wird oder dass ich anderen zu Recht vertraut habe – dann resultieren daraus Gefühle wie Geborgenheit, Zugehörigkeit, Bindung, Freundschaft und Liebe.

Vertrauen bezieht sich auf die Zukunft und basiert zugleich auf den Erfahrungen aus der Vergangenheit. So wird schon mit unseren frühkindlichen Bindungserfahrungen das Fundament für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung und damit auch für grundsätzliches Vertrauen (Ur-Vertrauen) in Beziehungen gelegt oder eben auch für ein grundsätzliches Ur-Misstrauen. Dieses Fundament begleitet uns ein Leben lang, gleichzeitig können wir neue Erfahrungen machen, die unsere Vertrauensfähigkeit mitbeeinflussen.

Es ist im Laufe des Lebens fast unvermeidlich, dass man zwischenmenschliche Enttäuschungen erfährt. Das ist bitter und tut weh. Um zu verhindern, dass solche Erfahrungen generalisiert werden und das Misstrauen zunehmend wächst, sollten gezielt möglichst viele Situationen aufgesucht werden, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Erwartungen erfüllt werden. Nach einem Vertrauensbruch helfen positive Erfahrungen und die Erkenntnis, dass Vertrauen grundsätzlich etwas Gutes und Bereicherndes ist und dass gute Beziehungen jeglicher Art guttun.

Vertrauen lässt sich nicht einfach „anschalten“, aber doch kann zu Beginn die bewusste Entscheidung stehen, Vertrauen zuzulassen, bewusst das Risiko einzugehen. Vertrauen kann ich nur dann gewinnen, wenn ich selbst bereit und in der Lage bin, anderen Menschen einen Vertrauensvorschuss zu geben und in meine Erwartung einkalkuliere, dass ich auch einmal enttäuscht werden kann. Wir alle gewinnen an Sicherheit, wenn wir uns so zeigen, wie wir nun mal sind, nämlich verletzlich. Vertrauen braucht offene Kommunikation, authentisches und ehrliches Verhalten, echtes Interesse aneinander und nicht zuletzt Zeit miteinander.

„Es gibt nichts Mächtigeres als Vertrauen, nichts, was mehr zu Harmonie beiträgt. Fehlt es, so zerfällt jede Familie und Freundschaft, jedes Unternehmen und jeder Staat.“ (Prof. Dr. Niels Birbaumer, Geo Wissen 59, 2017).

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