Bedürfnisse und Motive – was treibt uns an?

Die Frage, was den Menschen antreibt, was ihm wichtig ist, wieso er bestimmte Dinge tut und bestimmte Dinge lässt, ist eine Grundfrage der Psychologie. Entsprechend gibt es zahlreiche Ansätze und Modelle, wie auch verschiedene Begrifflichkeiten, z. B. Trieb, Bedürfnis, Wille oder Motiv. Ohne den Anspruch, die verschiedenen Theorien hinreichend zu erläutern, wollen wir hier ein paar wesentliche Aspekte beschreiben.

Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass Menschen ständig von etwas angetrieben werden – es stellt sich nicht die Frage, ob jemand motiviert ist, sondern die Frage lautet stets, wie und wozu jemand motiviert ist. Warum ist das so?

Eine prinzipielle Annahme ist, dass Menschen mit grundlegenden Bedürfnissen ausgestattet sind, die nach Erfüllung streben, was die die Voraussetzung dafür ist, dass er sich zufrieden und wohl fühlt (was auch wiederum dazu beiträgt, gesund zu bleiben).

Allseits bekannte Grundbedürfnisse sind jene, die uns das Überleben möglich machen, die physiologischen Grundbedürfnisse: Schlaf, Nahrung, Wärme und Sicherheit, die unmittelbar handlungsleitend werden, sobald sie nicht erfüllt sind. Darüber hinaus gibt es aber nun andere Kräfte, die Menschen zum Handeln anleiten und hier findet sich ein praktikables Modell in der Theorie von Klaus Grawe (2004), der vier menschliche Grundbedürfnisse postuliert:

  • Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle (subjektive Autonomie)
    Menschen ist es grundlegend wichtig, zu wissen, was in der sie umgebenden Umwelt passiert und zu erfahren, dass man selbst einen Einfluss auf das Geschehen und sein eigenes Leben hat. Hilflosigkeit und Kontrollverlust werden aversiv erlebt. Zum Wohlbefinden gehört, sich als frei handelndes Individuum zu erleben. Dazu gehört natürlich die Erkenntnis, dass die jeweilige Autonomie durch äußere Bedingungen begrenzt ist – wichtig ist aber, bei allen äußeren Zwängen, das Gefühl, sich für eben diese Zwänge frei entschieden zu haben und diese in einem gewissen Rahmen auch beeinflussen zu können, was also heißt, dass man zumindest eine „subjektive Autonomie“ erleben will.
  • Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung (Genuss, gute Gefühle)
    Das Erleben von Lust und Unlust ist in unserem Organismus verankert und die Erkenntnis ist banal, dass Menschen prinzipiell danach streben, Angenehmes zu erleben (z.B. ein gutes Essen genießen) und unangenehme Situationen, die Unlust hervorrufen (wie z.B. Schmerzen, Konflikte, etc.) zu vermeiden.
  • Bedürfnis nach Bindung (Nähe, Vertrauen, Unterstützung)
    Menschen brauchen und suchen die Nähe, den Austausch und die Unterstützung von anderen Menschen. Ein Bedürfnis nach Bindung wird eindeutig ersichtlich, wenn man sich Kleinkinder anschaut – ohne psychische Zuwendung werden diese erhebliche Störungen entwickeln, selbst wenn die physiologischen Bedürfnisse gestillt sind. Aber auch bei Erwachsenen zeigt sich die Bedeutung von Freundschaften und Familie auch klar in Ihrer Relevanz für Gesundheit und Wohlbefinden: in entsprechenden Studien wird der Faktor der „sozialen Unterstützung“ stets als einer der wesentlichen Aspekte für Lebensqualität, Erhalt und Wiedergewinnung von Gesundheit ermittelt.
  • Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz (Anerkennung, Bestätigung)
    Das Selbstwertgefühl ist eine zentrale Komponente – man braucht das Gefühl, wertvoll zu sein und akzeptiert zu werden. Der Wunsch, dieses positive Selbstbild fortlaufend zu erhöhen und auf der anderen Seite darauf zu achten, dass dieses Selbstwerterleben nicht durch negative Erfahrungen beeinträchtigt wird, ist eine grundlegende Antriebsfeder für uns Menschen.

Diese Grundbedürfnisse sind bei jedem Menschen vorhanden und drängen nach Stillung und Befriedigung. Wie ausgeprägt und intensiv dieses „Drängen“ bei dem Einzelnen ist, entscheidet auch die genetische Veranlagung und die Lernerfahrungen, die ein Mensch im Laufe seiner Kindheit und im späteren Leben macht. Besonders die Lernerfahrungen beeinflussen einerseits, wie stark ein Grundbedürfnis erlebt und verfolgt wird, andererseits aber vor allem die Art und Weise, wie Menschen danach streben, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Die Mittel, die ein Mensch im Laufe seines Lebens entwickelt, um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen zeichnen letztlich seine Persönlichkeit aus.

„Dringende“ Bedürfnisse führen also zu zielgerichteten Motiven (Beweggründen): wenn ein Mensch lange einsam war und ein starkes Bindungsbedürfnis hat, führt dies zu motiviertem Handeln und er sucht gezielt Anschluss an andere Menschen. Wenn ein Mensch stark oder anhaltend hilflos war, sucht er gezielt nach Sicherheit und Kontrolle.

Hinter jedem zielgerichteten Motiv (zum Beispiel Leistungsmotiv oder Machtmotiv) steht also ein Bedürfnis, das befriedigt werden will (hier vereinfacht: Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Bedürfnis nach Kontrolle). Motive treten jedoch nie einzeln auf, sondern immer in Kombination mit anderen Motiven. Jeder Mensch hat so sein individuelles Motivprofil, das ihn in einer gegebenen Situation antreibt und es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Motiven. Aber es sind vor allem drei Motive, die jedem Menschen innewohnen – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung – und die einen besonders starken Einfluss auf das Verhalten haben:

  • Zugehörigkeit: Ziele sind hier Sicherheit, Zuwendung, Geborgenheit und Freundschaft zu erlangen. Auf der anderen Seite stehen hier Ängste, unbeliebt, zurückgewiesen, isoliert, ausgeschlossen, allein gelassen zu sein, also kurz: das Gefühl von Wertlosigkeit.
  • Macht: Ziele sind, Kontrolle, Dominanz, Bedeutung, Status und Einfluss zu haben sowie Kampf und Wettbewerb einzugehen. Auf der anderen Seite stehen hier Ängste, keine Kontrolle zu haben, unwichtig, abhängig, unbedeutend, missachtet zu sein, also kurz das Gefühl von Ohnmacht.
  • Leistung: Ziele sind hier Erfolg, Fortschritt, Kreativität, Abwechslung, Neugier und Fantasie. Auf der anderen Seite stehen hier Ängste, unfähig, schwach, erniedrigt, nutzlos, dumm, und ein Verlierer zu sein, also kurz das Gefühl von Versagen.

Es sind also die Bedürfnisse als Mangelzustände, die uns über zielgerichtete Motive (Beweggründe) antreiben, diese Bedürfnisse in einer individuellen Art und Weise zu befriedigen. Sind unsere Bedürfnisse befriedigt, ist dies eine Voraussetzung für Gesundheit.

Um psychisch und körperlich gesund zu bleiben, ist es notwendig, ein Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Motive zu haben, zu erhalten – und manchmal auch wieder zu entdecken.

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